Die Alterung unserer Gesellschaft – eine unterschätzte Herausforderung, die uns alle betrifft. Wie werden wir in Zukunft wohnen und wie werden sich die Städte verändern? Im exklusiven Interview mit Zukunftsforscher Georges T. Roos tauchen wir in die Welt von morgen ein. Erfahren Sie, wie Roboter dazu beitragen könnten, dass mehr Menschen länger in den eigenen vier Wänden leben können und welche Rolle die bauliche Dichte in unseren Städten spielen wird. 

Zukunftsforscher Georges T. Roos zum Thema Wohnen im Interview
Zukunftsforscher Georges T. Roos: «Ich glaube nicht an fliegende Autos, aber an intelligente Assistenzsysteme»

Wenn wir über die Zukunft der Städte und des Wohnens nachdenken, fällt vielen Leuten spontan die Skyline von Shanghai oder New York ein. Ist dies auch ein Bild für die Schweiz der Zukunft?

Georges T. Roos: Was Sie ansprechen, sind verdichtete Bauweisen. Wir verzeichnen ein kontinuierliches Bevölkerungswachstum. Nach den Szenarien für die Schweiz erreichen wir voraussichtlich in 20 Jahren die Grenze der 10-Millionen-Schweiz. Schon heute zählen wir rund 9 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.

Skyline von Shanghai
Mit dem kontinuierlichen Bevölkerungswachstum steigt der Bedarf nach zusätzlichem Wohnraum und einer Verdichtung der Städte. (Bild: Skyline von Shanghai, canva.com)

Werden also Dörfer und Agglomerationen mit zweigeschossigen, kleinen Häusern verschwinden?

Die meisten Menschen in der Schweiz leben schon jetzt in Städten und urbanen Agglomerationen. Da wird schon lange nicht mehr zweigeschossig gebaut. Es ist der mehrfach bestätigte politische Wille in unserem Land, dass nicht weiter Kultur- und Landwirtschaftsraum überbaut wird. Also führt kein Weg daran vorbei, dass die Städte und Agglomerationen dichter bebaut werden. Der Anteil höherer Bauten wird auch bei uns steigen. Allerdings haben wir in der Schweiz einen bescheidenen Massstab: Hier gelten bereits Wohnhäuser, die acht Stockwerke in den Himmel ragen, als ungewöhnlich hoch. Hierzulande geht es nicht um eine Skyline wie in Manhattan oder Singapur!

Was halten Sie von der Verdichtung?

Ich wohne selbst in einer rund 100-jährigen Blockrandbebauung. Dies ist eine ausgesprochen verdichtete Bauweise und bietet sehr viel Lebensqualität. Verdichtung hat ein schlechtes Image. Aber es kommt sehr auf die Qualität an. Verdichten kann sogar die Wohn- und Lebensqualität steigern.

Roboter, welcher im Haushalt unterstützt
Georges T. Roos kann sich vorstellen, dass uns zukünftig Roboter auch im Privathaushalt unterstützen werden. (Bild: canva.com)

Die Zukunft übt für viele Menschen eine grosse Faszination aus. Denken wir nur an all die Science-Fiction-Filme, etwa mit fliegenden Autos. Welches Zukunftsbild fällt Ihnen spontan ein?

Die fliegenden Autos halte ich nicht für realistisch, wenn ich mal von Drohnentaxis absehe. Autonom fahrende Fahrzeuge aber schon. Ich gehe davon aus, dass sie das individuelle Privatfahrzeug in den Städten verdrängen werden. In den Städten werden wir neben dem öffentlichen Verkehr eine autonom fahrende Flotte von Shuttle-Bussen haben, die individuelle Mobilitätsbedürfnisse abdecken – ohne Fahrplan, massgeschneidert. Und wenn ich mich von Science Fiction inspirieren lasse: So denke ich vor allem an Roboter im Haushalt, so genannte kollaborative Roboter. Sie arbeiten Hand in Hand mit Menschen und unterstützen sie.

Was meinen Sie mit kollaborativ?

Solche Roboter sind mit künstlicher Intelligenz KI ausgestattet und können im Haushalt und im Alltag unterstützen. Industrieroboter müssen zur Sicherheit  hinter Gittern abgeschirmt sein. Kollaborative Roboter werden in der Arbeitswelt uns Menschen assistieren. Aber ich kann sie mir auch in Privathaushaltungen vorstellen – etwa im Haushalt von älteren Menschen. Japan ist aufgrund des hohen Anteils älterer Menschen wie ein Blick in unsere Zukunft. Dort sind Roboter im Einsatz, die Haare waschen oder jemanden ins Bad begleiten können. Sie interagieren mit uns auf der gleichen Fläche und sind in der Lage, alle möglichen Aufgaben im Haushalt zu erledigen.

Dann ist es also vorbei mit Kindern und Familienangehörigen, die diese alltägliche Pflege und Unterstützung leisten?

Wir leben heute nicht mehr in Grossfamilien. Unser Lebensmodell lässt es nicht mehr zu, dass wir in dem Mass wie früher Zeit für die Pflege und Unterstützung älterer Menschen haben. Hinzu kommt, dass der ganze Bereich Pflege in den verschiedenen Institutionen und Spitälern akut unter dem Mangel an Fachkräften leidet. Hier kommen grosse Herausforderungen auf uns zu.

Weshalb?

Bereits in 20 Jahren wird ein Viertel der Bevölkerung älter als 65 sein. Und die Anzahl der Menschen im Alter 80+ wird sich sogar verdoppeln. Heute lebt die Hälfte der über 90-jährigen Menschen nicht in einem Heim, sondern in einer eigenen Wohnung. Dieser Anteil wird in Zukunft sogar steigen. Assistenzsysteme wie solche Roboter verbessern die Chance für Betagte, dass sie in ihrer gewohnten Umgebung leben können. Das Problem des Fachkräftemangels in der Pflege wird aber wachsen: Die Zahl der älteren Personen steigt, während die Gruppe der Erwerbstätigen etwa gleich bleibt.

Geht dies nicht zulasten von menschlichen Bedürfnissen und sozialer Interaktion, wenn die Menschen künftig vermehrt von Robotern betreut werden?

Nein. Ich halte das Schreckensszenario, dass Menschen künftig Maschinen überlassen werden, für höchst unwahrscheinlich. Wir könnten es gerade umgekehrt sehen: Eben gerade dank technisch ausgereiften Assistenzsystemen, dank Robotern und Künstlicher Intelligenz, werden wir freie Zeit gewinnen. Dieser Freiraum wird es dem Pflegepersonal, aber auch den Angehörigen ermöglichen, sich vermehrt der sozialen Interaktion und dem menschlichen Kontakt zuzuwenden.

Home Office mit Schreibtisch im Wohnzimmer
Wohnungen werden auch in Zukunft flexibel und vielfältig genutzt werden. (Bild: canva.com)

Werden die Menschen in Zukunft mehr Zuhause sein und das Wohnen geniessen?

Wohnen und eine Behausung zu haben, ist ein menschliches Grundbedürfnis. In Zukunft wird die Wohnung aber möglicherweise vielfältiger genutzt werden, etwa als Home Office. Wobei ich Co-Working-Spaces und Office Boxes in der Nähe des Wohnortes für die bessere Lösung halte. – Sicher wird das Wohnen in Zukunft noch mehr Flexibilität, aber auch Individualität abdecken. Wohnräume müssen flexibel nutzbar sein, und sich für immer wieder ändernde Haushalte anpassen lassen – mal für vier oder fünf Personen, dann für zwei oder drei, mal mit Kindern und Stiefkindern, mal als Büro oder Therapiezimmer.

Die Pandemie und auch andere Gründe haben dazu geführt, dass plötzlich das ruhige, beschauliche Leben auf dem Land wieder sehr beliebt war – bleibt dieser Trend hin zum Landleben?

Ich glaube der Trend geht eher in Richtung Stadt. Wenn Menschen von der Stadt aufs Land ziehen, ist das eher der Not gehorchend. Wer in der Stadt nichts Passendes oder nichts Erschwingliches findet, weicht aufs Land aus. Entscheidend sind die Mobilität und die Frage, ob die ländlichen Regionen gut erreichbar sind.

Wie ist das genau gemeint?

Ich habe mir eben die Statistiken für Luzern angeschaut: Ein Luzerner legt täglich 33,1 Kilometer zurück. Das kostet ihn täglich 87 Minuten Zeit. Das ist viel, und ich glaube, die Zahlen sind absolut repräsentativ. Entscheidend sind weniger die Kilometer als die aufzuwendende Zeit.

Was ist Ihre Vision der Mobilität?

Ich glaube, dass die individuellen Privatfahrzeuge in den Städten an Bedeutung verlieren werden. Stattdessen wird eine grössere, autonom fahrende Flotte von Fahrzeugen eine effiziente Mobilität garantieren. Und wenn die selbst fahrenden Autos in 20 oder 30 Jahren Realität sind, wird dies auch das Leben auf dem Land attraktiv machen. Denn die Reisezeit wird genutzt werden können: Wer das Fahrzeug nicht selbst steuert, gewinnt freie und kreative Zeit. Viele Expertinnen und Experten gehen davon, dass autonomes Fahren zu einem Game Changer wird. Ich nehme aber an, dass es noch länger als 25 Jahre dauert, bis wir so weit sind.

Mit Blick auf die aktuelle Lage – internationale Konflikte, Inflation, Klima- und Energiekrise – sind viele Menschen verunsichert. Gibt es nicht auch viele Dinge, die sich zum Besseren wenden?

Ja, absolut. In vielen Dingen hat die Menschheit grosse Fortschritte erzielt.  Das wird oft übersehen. Vielleicht liegt es in der Natur des Menschen, dass sich das Bewusstsein eher negativen Dingen zuwendet.

Was wird in Zukunft besser werden?

Es bedarf eines grossen Efforts, um von konventionellen Energieträgern wie Öl und Gas wegzukommen. Aber wir erzielen grosse Fortschritte. Das halte ich für eine höchst positive Vision für unsere Zukunft. Ich wohne wie erwähnt in einer 100-jährigen Blockrandbebauung in Luzern. Neulich sagte mir ein Experte für Erdwärme: Hier können wir wie fast überall die Gebäude problemlos mit Heizwärme und Warmwasser aus erneuerbarer Energie versorgen. Es bedarf nur einer Tiefenbohrung für eine Erdsonde.

Haben Sie irgendeinen Wohntraum, eine tolle Vision, was Ihr persönliches Wohnen betrifft?

Mein Zuhause deckt alle meine Bedürfnisse sehr gut ab. Natürlich, träumen kann man immer. Ich könnte davon träumen, wo ich noch überall Urlaub machen könnte, oder ich könnte mir ausmalen, dass ich in einer tollen Villa mit Seeanstoss lebe. Träume gehören zum Menschen. Aber mich frustriert es überhaupt nicht, wenn sie nicht alle wahr werden.

Website von Georges T. Roos: https://www.kultinno.ch/

Biografie in Kürze: https://www.kultinno.ch/uber-mich/

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